Antike aktuell – Ein Tsunami zerstört Helike

Bereits in der Antike wurden die Menschen von Naturkatastrophen heimgesucht. Die berühmteste ist mit Sicherheit die Zerstörung Pompejis und Herkulaneums durch den Vesuvausbruch im Jahre 79 v. Chr. Doch es gab weitere Katastrophen wie Dürreperioden, Heuschreckenplagen, Erdbeben, Überflutungen und Tsunamis. Einer davon ereignete sich in Griechenland auf der Peloponnes

Im Jahre 373 v. Chr. zerstörte in einer Winternacht ein gewaltiges Erdbeben viele Häuser der Hafenstadt Helike, die anschließend durch einen katastrophalen Tsunami überschwemmt wurde, der wahrscheinlich durch einen Erdrutsch in Folge des Bebens ausgelöst wurde. Er spülte alles hinfort: Menschen, Häuser, Bäume…

Helike war eine führende Stadt an der Südwestküste des Golf von Korinth, die bereits in der Bronzezeit gegründet worden war. Ihr dem Poseidon geweihtes Heiligtum war in der ganzen antiken Welt wohlbekannt. Helike führte die zwölf Städte des ersten Achäischen Bundes an, zu ihm gehörten Kolonien wie Priene in Kleinasien und Sybaris in Süditalien.

Der dramatische Untergang wurde von griechischen und römischen Autoren beschrieben und diskutiert und hat wahrscheinlich Platon zu seinem Atlantis-Mythos inspiriert. (Eine andere These besagt, dass er allerdings Troja gemeint hat.)

Eratosthenes besichtigte ca. 150 Jahre später die Gegend. Er berichtete, dass eine Poseidonstatue in einer Art Lagune stand und die Netze der Fischer gefährdete, ein Überrest der Katastrophe.

Die ausführlichste Version vom Untergang Helikes findet sich bei dem griechischen Historiker Diodor (80 - 20 v. Chr.), der im 1. Jahrhundert v. Chr. eine Universalgeschichte geschrieben hat:

„Starke Erdbeben erschütterten die Peloponnes, begleitet von Flutwellen, welche das freie Land in einer Weise zerstörten, die jenseits unserer Vorstellungskraft liegt. Niemals zuvor sind griechische Städte von einer solchen Katastrophe betroffen worden, und niemals zuvor sind ganze Städte samt ihren Einwohnern verschwunden. […] Das Ausmaß der Zerstörung wurde noch vergrößert durch den Zeitpunkt. Denn das Erdbeben kam nicht am Tage, als es für die Opfer möglich gewesen wäre, sich selbst zu helfen, sondern es geschah in der Nacht. Daher, als die Häu­ser durch die Gewalt des Erdbebens einstürzten, waren die Menschen wegen der Dunkelheit und der unerwartet eingetretenen Gefahr nicht in der Lage, sich zu retten. Die meisten waren in den zusammengefallenen Häusern eingeschlossen und wurden getötet.“

„Einige Überlebende stiegen aus den Trümmern ihrer Häuser hervor und glaubten, der Gefahr entronnen zu sein. Da aber traf sie ein größeres und noch unglaublicheres Unglück. Das Meer türmte sich zu einer immensen Höhe, und eine riesige Flutwelle überschwemmte alle mitsamt ihrer Heimatstadt. Zwei Städte in Achaia wurden Opfer dieser Katastrophe: Helike und Boura. Vor diesem Erdbeben war Helike die Erste unter den Städten Achaias."

Der griechische Historiker und Geograph Strabon, der etwas später als Diodor schrieb, berief sich sogar  bei seinen Ausführungen auf die Angaben eines Zeitzeugen des Unglücks: Er hatte einen gewissen aus dem nördlichen Kleinasien stammenden Herakleides befragt. Dieser wurde später, nicht nur als Schüler Pla­tons, ein bekannter Wissenschaftler. Er war zum Zeitpunkt der Katastrophe von Helike 17 Jahre alt und so beeindruckt von ihr, dass er, der sie nicht selbst miterlebt hat, später genaue Informationen zusammentrug. Er erfuhr, dass das Beben die Menschen in der Nacht überrascht hatte (s. Diodor) bestätigt. Obwohl die die Stadt zwölf Stadien vom Meer entfernt gelegen hat (mehr als zwei Kilometer), ist die ganze Gegend zusammen mit der Stadt im Meer verschwunden. Nach Strabon lag allerdings nicht wie bei Diodor zwischen Erdbeben und Flutwelle eine Nacht, sondern beides ereignete sich sozusagen gleichzeitig.

Wie Strabon legt Pausanias (143-176 n. Chr.) Erdbeben und Flutwelle zeitlich zu­sammen: ca. 174 n. Chr. besuchte er auf einer Reise diese Küstenregion, die immer noch Helike genannt wurde und ca. 7 km südlich von Ägion lag. Er berichtet, dass man die Mauern der untergegangenen Stadt immer noch unter der Wasseroberfläche sehen könne.

 

"Vierzig Stadien entfernt von Ägion befindet sich ein Platz am Meer namens Helike. […] Hier lag einst die Stadt Helike, sie war das heiligste Heiligtum der Ionier, das des Poseidon mit dem Beinamen Helikonios. […] Dies war ein Erdbeben, dass den Meeresboden umdrehte und darüber hinaus, so wird erzählt, ereignete sich in diesem Winter eine weitere Katastrophe: eine riesige See überflutete einen großen Teil des Landes und begrub Helike unter sich. Und die Flut überschwemmte den Poseidon-Tempel, so dass nur noch die Wipfel der hohen Bäume sichtbar blieben. Denn als plötzlich der Gott erbebte, erhob sich die See zusammen mit dem Erdbeben und riss Helike mit all seinen Bewohnern in die Tiefe. Die Ruinen von Helike sind noch sichtbar, aber nicht mehr so deutlich wie einst, denn sie sind vom Salzwasser zerfressen."

Dass Tiere Katastrophen vorausspüren, war auch bereits in der Antike bekannt. So schildert der römische Autor Aelian, der an der Wende vom 2. zum 3. Jahrhundert n. Chr. lebte, ursprünglich auf Griechisch folgende Begebenheit:

mus, ris: Maus

mustela: Wiesel

ruere: einstürzen

mature: frühzeitig

Iones: Ionier

advena <- advenire

prodigium: Wunder

pessum ire: zugrunde gehen

scolopendrae: Tausendfüßler, Assel

coniectura: Vermutung

subsidere: fallen

inundare: überschwemmen

concutere: schütteln, zerschlagen

abolire: zerstören

Lacedaemonii = Spartaner

appellere: landen

ex-unda-tio: Überscchwemmung, Flut

per-ire: zugrunde gehen

uti: nutzen

est = id accidit

ultio: Rache

ministerium: Dienst

argumento esse: als Beweis dienen

ephorus: einer der 5 höchsten spartanischen Beamten

lacerare: zerreißen

Domum ruituram, qui in ea sunt, mures et mustelae etiam praesentiunt, et mature excedunt. hoc et in Helice contigisse ajunt. Nam cum Helicenses in Iones advenas impii fuerunt, eosque ad aram macta(vi)ssent, [...], prodigia iis dii ostenderunt: quinque enim diebus priusquam pessum iret Helice, omnes in ea mures, mustelae, serpentes, scolopendrae [...], et alia hujusmodi animalia, magnis copiis exibant per viam, quae ducit Coriam. Haec Helicenses cum fieri viderent, admirabantur; neque tamen de ea causa facere conjecturam poterant. Proxima autem ab illorum animalium egressu nocte terrae motu concussa civitas subsedit, et inundantibus aquis abolita est; et pariter cum urbe Lacedaemoniorum naves decem, quae tum forte ad portum appulerant, eadem maris exundatione perierunt. Est quando animalium etiam ad capiendam ab hominibus impiis ultionem ministerio justitia utitur: argumento est Pantedidas Lacedaemonius, qui, cum artifices Dionysii proficiscentes Cythera per Spartam transire prohibuisset, postea in ephororum curia sedens a canibus laceratus est.

Aelian, De natura animalium, 6, 19

Übersetzung:

"Den kommenden Einsturz eines Hauses spüren Mäuse und Wiesel, die in ihm sind, sogar voraus und gehen frühzeitig heraus. Man sagt, dass dies auch in Helice geschehen sei. Denn weil die Helicenser gegenüber ionischen Ankömmlingen gottlos waren und diese am Altar abgeschlachtet hatten, zeigten ihnen die Götter die Wunderzeichen: Fünf Tage bevor Helike nämlich zugrunde ging, flohen alle Mäuse, Wiesel, Schlangen, Käfer und andere Tiere solcher Art in einer großen Anzahl entlang der Strasse, die nach Coria führt. Als die Einwohner Helikes sahen, dass dies geschah, wunderten sie sich; dennoch konnten sie keine Vermutung über den Grund machen. Die dem Auszug jener Tiere am nächsten gelegene Bürgerschaft, ging, nachdem sie nachts durch eine Erdbeben erschüttert worden war, zugrunde und wurde durch überflutende Wassermassen zerstört; und zugleich mit der Stadt gingen auch zehn Schiffe der Spartaner, die damals zufällig bei dem Hafen vor Anker lagen, durch dieselbe Überschwemmung des Meeres unter. Es geschieht, wenn die Gerechtigkeit den Dienst der Tiere nutzt, um Rache an gottlosen Menschen zu nehmen. Als Beweis dafür dient der Spartaner Pantedidas, der, als er dionysische Künstler, die nach Cythera aufbrachen, daran gehindert hatte durch Sparta zu gehen,  später auf dem Ehrenstuhl in der Kurie sitzend von Hundern zerfleischt wurde.

Dass diese Katastrophe in der Antike sprichwörtlich war und lange unvergessen blieb, bezeugen auch die Metamorphosen Ovids, der den Untergang der Stadt erwähnt.

 

'Fluctibus ambitae fuerant Antissa Pharosque
et Phoenissa Tyros: quarum nunc insula nulla est.
Leucada continuam veteres habuere coloni:
nunc freta circueunt; Zancle quoque iuncta fuisse               290
dicitur Italiae, donec confinia pontus
abstulit et media tellurem reppulit unda;
si quaeras Helicen et Burin, Achaidas urbes,
invenies sub aquis, et adhuc ostendere nautae
inclinata solent cum moenibus oppida mersis.
               295
est prope Pittheam tumulus Troezena, sine ullis
arduus arboribus, quondam planissima campi
area, nunc tumulus;

Ovid, met, 15

 

Übersetzung:

"Wenn Du nach Helike und Boura suchst, die einst Städte in Achaia waren, so wirst Du sie unter den Wellen finden, und die Seeleute zeigen Dir noch heute die ertrunkenen Städte mit ihren begrabenen Mauern."

Später wurden keine Spuren von Helike mehr gefunden. Erst 1861 fanden deutsche Archäologen eine Bronzemünze von Helike, auf welcher der Kopf des Poseidon abgebildet ist. 1988 wurde das "Helike Projekt" ins Leben gerufen, um die genaue Lage der Stadt festzustellen und die Zeit näher zu erforschen, „denn zur Zeit des Untergangs von Helike hat Plato gelehrt, Aristoteles war gerade 12 Jahre alt und Sokrates und Aristophanes waren erst seit 20 Jahren tot.“ (Dr. Dora Katsonopoulou)

Neueste Forschungsergebnisse veröffentlichte Dr. Dora Katsonopoulou (Helike Gesellschaft Athen) & Steven Soter, New York) 1/2002, The Discovery of the Ancient Helike.

Weitere Informationen siehe auch http://www.eliki.de.vu/.

Eine Übersicht über antike Naturkatastrophen gibt Holger Sonnabend, Naturkatastrophen in der Antike, Stuttgart 1999.

 

Für besonders Interessierte: Eine weitere Quelle, die sich mit Helice und den Gründen seines Untergangs beschäftigt, sind Senecas Naturales Quaestiones:

 

[6, 23,4] Hic Callisthenes in libris quibus describit quemadmodum Helice Burisque mersae sint, quis illas casus in mare uel in illas mare immiserit, dicit id quod in priore parte dictum est: Spiritus intrat terram per occulta foramina, quemadmodum ubique, ita et sub mari; deinde, cum obstructus ille est trames per quem descenderat, reditum autem illi a tergo resistens aqua abstulit, huc et illuc refertur et sibi ipse occurrens terram labefactat. Ideo frequentissime mari apposita uexantur et inde Neptuno haec assignata est terras mouendi potentia. Quisquis primas litteras didicit, scit illum apud Homerum Genosichthona uocari.
[6, 24,6] Thucydides ait circa Peloponnesiaci belli tempus Atalanten insulam aut totam aut certe maxima ex parte suppressam. Idem Sidone accidisse Posidonio crede. Nec ad hoc testibus opus est: meminimus enim terris interno motu diuulsis loca disiecta et campos interisse. Quod iam dicam quemadmodum existimem fieri.

[26,3] Callisthenes et alio tempore ait hoc accidisse: "Inter multa", inquit, "prodigia, quibus denuntiata est duarum urbium, Helices et Buris, euersio, fuere maxime notabilia columna ignis immensi et Delos agitata"; quam ideo stabilem uideri uult, quia mari imposita sit habeatque concauas rupes et saxa peruia, quae dent deprehenso aeri reditum: ob hoc et insulas esse certioris soli urbesque eo tutiores quo propius ad mare accesserint.

Seneca, Naturales Quaestiones, 6

 

Rita Hillert